top of page

Waldbrände und bayrische Gemütlichkeit 🙈🙉🙊

  • Autorenbild: Birgit & Gert Gölz
    Birgit & Gert Gölz
  • 1. Apr. 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Wir haben Patagonien verlassen und sind jetzt in Zentralchile der am dichtesten besiedelten Gegend des Landes. An den Strassenrändern liegt viel Müll, es gibt große Industriegebiete an der Autobahn. Einige Kilometer vor Conception fahren wir durch verbrannte Landschaft. Von hier bis zur Küste haben vor einigen Wochen schwere Waldbrände gewütet. Das war Brandstiftung aber es liegt wohl auch an der intensiven Forstwirtschaft. Hier werden große Flächen Kiefer-und Eukalyptuswälder angepflanzt. Die benötigten fürs Wachstum einmal viel Wasser, in der eh schon trockenen Gegend, und sie brennen wie Zunder.

Einen Übernachtungsplatz zu finden ist in dieser dicht besiedelten Gegend gar nicht so einfach. Die Saison ist vorbei die Campingplätze sind fast alle geschlossen. Wir suchen auf der Karte und finden einen Weg der an einem kleinen Fluss endet. Wir biegen ab. Am Weg steht ein schönes, großes Schild um auf einen unbeschrankten Bahnübergang hinzuweisen aber bisher hatten wir hier nur stillgelegte Strecken gesehen.

ree
ree

Wir hatten die Gleise noch nicht ganz verlassen als es ein schrilles Pfeifen ertönt und, gefühlt nur Zentimeter, ein Zug hinter uns vorbei rauscht. Uff... das war knapp!

Mit etwas weichen Knien erreichen wir die Sackgasse am Fluss, ein schöner Picknickplatz. Der ist zwar vollgemüllt aber wir räumen uns eine Ecke frei und dann ist es schön und schwimmen geht auch.

Unser Ziel nächstes Ziel ist Villa Baviera, ein deutsches Mustergut mit Restaurant in dem typisch deutsche Gerichte angeboten werden. Auf der Homepage lese ich es gibt schöne Wanderwege durch den Naturwald,Jeeptouren und einen See zum Tretboot fahren. Außerdem ein Museum, denn sie gehen offen um mit ihrer Geschichte. Welche Geschichte?

Villa Baviera war bis 1988 die

Colonia Dignidad...

Ich hatte immer mal wieder etwas darüber gehört. Das eine Deutsche Sekte hier 1961 das Landgut aufgebaut hat. Das hier Menschenrechte verletzt wurden und der Guru ein Pädophiler war. Bevor wir uns also auf den Weg machen finde ich viele Artikel und Filme zur Colonia Dignidad im Internet. Was ich lese schockiert mich und wir diskutieren lange ob wir uns diesen Besuch antun wollen. Aber wir haben auch viele Fragen. Wie kann es sein das sich viele hundert Menschen hier über 40 Jahre gefangen halten und quälen ließen. Die deutsche und auch die chilenische Regierung so lange weggesehen haben?

Das erste was wir von dem Gut sehen ist ein hoher Zaun.

ree

An der Pforte, ein schönes Häuschen, zahlen wir Eintritt und fahren noch fast 1 Kilometer durch eine schöne Eichenallee.

Vor dem Hotel ist ein großer Parkplatz, viele Besucher sind noch nicht da aber überall auf dem Gelände sehen wir Menschen bei der Arbeit. Es gibt eine Gärtnerei mit Pflanzenverkauf, einen Badesee, einen Spielplatz auf der großen Wiese am Hotel. Alles etwas in die Jahre gekommen aber sehr gepflegt.

Mit einem mulmigen Gefühl gehen wir den ausgeschilderten Wegen nach, zur Bäckerei, Wäscherei Autowerkstatt.

Alles schön sauber und ordentlich mit gepflegten Rabatten....mir ist speiübel.

Dann kommt ein älterer Herr mit seinem Elektromobil angerauscht und begrüßt uns auf deutsch. Er heißt Rüdiger und wohnt hier seitdem er 6 Jahre ist. Mir wird ganz schlecht. Ich weiß mittlerweile das jeder der Jungen, der hier lebte von dem Sektenleiter Paul Schäfer, jahrzehnte lang mißbraucht wurde. Ich frage ihn wie um Himmels Willen er hier noch leben kann.

"Ich war ja immer hier, ich habe keine andere Heimat."

Das ist so traurig, ich bin fassungslos.

Er meint das passiert oft, das Menschen weinen wenn er ihnen seine Geschichte erzählt. Es wohnen noch 110 Deutsche hier in der Colonia. Viele sind weg sobald sie frei waren aber, so erklärt uns Rüdiger, wir sind alle verletzt an Leib und Seele. Wenn es mir mal schlecht geht weiß hier jeder wovon ich Rede. In Deutschland kann sich doch niemand vorstellen was uns hier passiert ist. Er zeigt uns das Gelände, erzählt von seinem Alltag und den Problemen der hier noch lebenden ehemaligen Sektenmitglieder. Dann bringt er uns zum Restaurant. Wir sollen mal das gute Sauerkraut probieren er will eine Führung durchs Museum für uns organisieren.

Mit einem anderen deutschen Paar führt uns Erika, die mit 2 Jahren hier ankam, durch die Ausstellung. Sie hat sehr offen unsere vielen Fragen beantwortet und als wir nach 3 Stunden, mit schweren Gedanken, aus dem Museum kamen, ging gerade die Sonne unter.

Es wäre möglich auf dem Stellplatz am Pool zu übernachten. Wir haben dankend abgelehnt. Alle 4 wollten wir dieses Grundstück so schnell wie möglich verlassen. Diese Aura von Gewalt und Folter ist körperlich spürbar. Das HIER Feste und Ausflüge veranstaltet und Gäste ausgelassen feiern fühlt sich für uns alle nur falsch an.

Diesen Tag werde ich niemals vergessen. Wir haben noch lange diskutiert, wer ist Opfer und wann ist ein Opfer auch Täter. Wie hätte das verhindert werden können? Paul Schäfer ist schon in den 50er Jahren wegen Mißbrauch von Jugendlichen auffällig geworden. Die Menschen die es wussten haben geschwiegen.

Wir neigen wohl alle dazu, wenn es unangenehm wird wegzusehen.

Unser Fazit kurz gefasst:

Wir müssen alle besser hinschauen.

Mit unserem Schweigen schützen wir nur die Täter, niemals die Opfer.

 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

3 Comments


dorisraeck
Apr 04, 2023

Ja ,sowas ist sehr traurig 😢, da wären wir auch nicht geblieben. Schlimm so was. Wissen zwar nicht viel darüber, aber das wenige reicht total. Fahrt schnell weiter. Bleibt gesund. LG Wolfgang und Dorethee

Like

Birgit & Gert Gölz
Birgit & Gert Gölz
Apr 02, 2023

Na ja, die Regierungen hatten ja ihre Vorteile durch die Colonia. Die Chilenen hatten ihre Folterquartiere auf dem Gelände und deutsche Politiker waren dort regelmäßig zu Besuch. Wie geht noch der Spruch...ein Schelm wer böses dabei denkt

Like

christiankoesling
christiankoesling
Apr 02, 2023

Das ist außerordentlich traurig, ich habe einige ausführliche Berichte darüber im Fernsehen gesehen, alle haben es gewusst, die deutsche wie auch die chilenische Regierung wussten was da ab geht und keiner hat jahrelang was unternommen !

Aber ich finde es gut das es jetzt diesen Ort gibt und die Mensche darüber offen berichten damit es nicht vergessen wird.

Aber ich kann euch auch verstehen das ihr dort nicht bleiben wolltet !!

Like

Ajoo unterwegs

©2022 von Ajoo unterwegs. Erstellt mit Wix.com

bottom of page